Nio war es immer wichtig, die Uhrzeit zu wissen. Schon als kleiner Junge hatte er ein Gespür für Zeit, für Minuten, Sekunden, für das Kommen und Gehen. Er lernte früh, die Uhr zu lesen. Für ihn war sie kein bloßes Spielzeug – sie gab ihm Sicherheit, machte die Welt berechenbar. Es war, als gäbe sie ihm Halt, als wäre die Uhr sein Anker. Sie bedeutete Ordnung und Vorhersehbarkeit.
Wenn ich ihn in den Kindergarten oder später in den Hort brachte, fragte er jedes Mal: „Wann holst du mich ab?“ Dann schaute er immer wieder auf die Uhr, zählte die Minuten und stand pünktlich zur vereinbarten Zeit an der Tür.
Doch wenn ich einmal zu spät kam, bekam er Panik. Dann stand er mit klopfendem Herzen da, die Augen suchten mich verzweifelt. Es war nicht nur eine Uhrzeit – es war sein Vertrauen in die Welt.
Heute fragt er nicht mehr danach. Er schaut nicht mehr auf die Uhr. Er wartet nicht mehr. Als hätte Zeit keine Bedeutung mehr, wenn einem keine mehr bleibt. Als wäre sie nicht mehr wichtig, weil sie nichts mehr verspricht.
Seit seiner Diagnose ist alles anders. Manchmal scheint die Zeit zu rasen, manchmal stillzustehen. Stunden verlieren ihre Form, Tage verschwimmen. Und während ich jede Sekunde festhalten möchte, entgleitet sie mir wie Sand zwischen den Fingern.
Für ihn hat die Zeit aufgehört, etwas zu messen. Sie ist jetzt Gefühl. Wärme. Nähe. Liebe. Er weiß, dass ich da bin. Immer.
Vielleicht fragt er nicht mehr laut danach, weil er längst weiß, dass Zeit nichts ist, was man festhalten kann.
Ich wünschte, ich könnte ihm die Zeit zurückgeben — nicht die auf der Uhr, sondern die, die zählt.
Vielleicht ist das die grausamste und wichtigste Erkenntnis zugleich: Zeit kann man mit keinem Geld der Welt erkaufen. Und deshalb sollte man keine Sekunde vergeuden.
Und vielleicht ist es jetzt an mir, zu erkennen, dass manche Momente, egal wie spät es ist, trotzdem bleiben. 🩵
Nach wie vor ist es in unserer Gesellschaft leider immer noch ein Stück weit tabu, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Oder es wird zumindest geheim gehalten. Viele Menschen haben Angst davor, abgestempelt zu werden – als schwach oder gar „nicht belastbar“. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Und monatelange Wartelisten sprechen für sich.
Als bei Nio die Diagnose kam, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Ich musste funktionieren, stark sein-auch für seine großen Brüder, Entscheidungen treffen – und gleichzeitig all das verarbeiten, was gerade passiert war. Doch schnell kam der Punkt, an dem ich gemerkt habe: Alleine schaffe ich das nicht.
Ich hatte großes Glück, schon kurz nach Nios Diagnose einen Platz in einer therapeutischen Praxis zu bekommen – als Akutbehandlung. In den ersten Wochen war ich fast wöchentlich bei meiner Psychologin, die mich unglaublich gut aufgefangen hat, als alles um mich herum zusammenzubrechen schien. Sie half mir, meine Gedanken zu sortieren, Ängste zu benennen und einen Weg zu finden, mit der neuen Realität umzugehen.
Mittlerweile bin ich nur noch alle paar Wochen dort. Aber jedes Gespräch tut mir gut. Es ist mein Raum, um zu atmen, zu reflektieren und wieder Kraft zu tanken.
Ich habe gelernt: Sich Hilfe zu holen ist keine Schande. Es ist ein Akt der Selbstfürsorge und ein Zeichen von Stärke.
Denn nur wenn es mir gut geht, kann ich auch für Nio ganz da sein. 🩵
Letztes Jahr konnte ich nicht mit Nio zum Martinsumzug gehen, weil ich gerade eine Operation hinter mir hatte. Er hatte trotzdem einen schönen Martinsumzug mit seiner Tante und Cousine. Aber damals dachte ich mir: Ich kann ja noch viele Jahre mit ihm hingehen.
Wie selbstverständlich man einfach davon ausgeht, dass man noch viele gesunde und gemeinsame Jahre vor sich hat. Dass Zeit unendlich scheint. Dass man Gelegenheiten einfach verschieben kann, weil „es ja noch so viele davon geben wird“.
Wenn ich gewusst hätte, dass es nicht so ist,
hätte ich vieles anders gemacht. Ich hätte weniger gezögert, mehr festgehalten,
mehr genossen. Ich hätte Momente bewusster gelebt, statt sie vorbeiziehen zu lassen.
Warum braucht es erst ein Schicksal, um aufzuwachen? Um zu erkennen, wie flüchtig Zeit ist? Um Momente wirklich zu schätzen,
statt sie als selbstverständlich hinzunehmen? Warum rennen wir so oft dem Alltag hinterher, anstatt einfach mal stehen zu bleiben und da zu sein?
Vielleicht liegt genau darin der Sinn: uns wachzurütteln. Uns zu zeigen, was wirklich zählt – nicht die Pläne, nicht die To-do-Listen, nicht das „irgendwann“, sondern die kleinen, stillen Augenblicke dazwischen. Die, in denen wir fühlen, lieben, lachen, atmen.
Solche Erfahrungen verändern uns, öffnen uns die Augen. Für das Wesentliche, für die Gegenwart, für das Leben im Jetzt. 💛
Am Montag war das Palliativteam bei uns. Schon vorher lag ein schwerer Schatten über diesem Termin. Wir wussten, dass dieses Gespräch kommen würde – und trotzdem ist man niemals bereit dafür.
Wir mussten Worte aussprechen, die kein Elternteil je sagen sollte. Wir mussten festlegen, wie wir mit lebensverlängernden Maßnahmen umgehen, entscheiden, was in bestimmten Notsituationen geschehen soll. Entscheidungen treffen, die sich falsch anfühlen – egal, wie richtig sie vielleicht sind.
Während wir da saßen, fühlte es sich an, als würde die Welt kurz stillstehen. Alles, was zählt, ist Nio – unser kleiner Kämpfer, unser Herz. Und doch müssen wir über Dinge sprechen, die eigentlich unaussprechlich sind.
Nio baut so rasant ab. Und wir stehen daneben, halten seine Hand, versuchen stark zu sein – und fühlen uns doch so hilflos.
Wir haben kurz darüber gesprochen, was passieren kann, wenn das Ende näher rückt. Allein diese Worte auszusprechen, tut weh bis tief ins Innerste. Es ist, als würde man das Herz in kleine Stücke brechen.
Man sagt, Liebe bedeutet, loslassen zu können. Aber niemand erzählt einem, wie weh dieses Loslassen wirklich tut.
Wir wissen, dass wir für Nio da sind – bis zum letzten Atemzug, mit all unserer Liebe. ♥️
Zehn Monate. Eine zweistellige Zahl. Und doch fühlt es sich an, als lägen Welten zwischen den einzelnen Monaten seit der Diagnose. Jeder Monat bringt neue Herausforderungen mit sich, neue Erkenntnisse, kleine und große Momente des Wachstums. Manchmal erscheint diese Zeit endlos lang, manchmal erschreckend kurz. Aber sie ist da – Tag für Tag, Schritt für Schritt, Gefühl für Gefühl.
Am Freitag haben wir ein Absauggerät für den Notfall bekommen. Nio verschluckt sich in letzter Zeit immer häufiger, und mit jedem dieser Momente wächst die Sorge, dass etwas passieren könnte. Dieses kleine Gerät schenkt uns ein Stück Sicherheit, ihm im Ernstfall schnell helfen zu können. Natürlich hoffen wir, dass es niemals zum Einsatz kommen muss.
Das Wochenende haben wir bewusst ruhig verbracht. Einfach durchatmen. Bei uns sein. Kraft sammeln. Denn in den kommenden Tagen stehen wieder einige Termine an, und da tut ein wenig Ruhe unglaublich gut.
Auch wenn Nio kaum noch ein Wort spricht, gibt es etwas, das im Moment unglaublich oft und völlig unvermittelt kommt: sein Lachen. Wir wissen oft gar nicht, warum er lacht – aber es ist das schönste Geräusch überhaupt. Ein Klang, der alles andere für einen Moment vergessen lässt. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Es erinnert uns daran, dass trotz allem so viel Liebe und Licht in unserem Alltag steckt.
Eigentlich hätten wir morgen für ein geplantes MRT nur eine Nacht in der Klinik verbracht. Aber wenn mich die letzten Wochen eines gelehrt haben, dann das: Mit dieser Erkrankung kann man einfach keinen Plan machen.
Heute Morgen hatte Nio seinen ersten Krampfanfall. Wir wussten, dass es durch die diese Krankheit jederzeit passieren kann. Ich dachte, ich wäre vorbereitet – Notfallmedikament da, Abläufe im Kopf, Erste-Hilfe-Kurs im Gedächtnis.
Doch Realität hält sich nicht an Abläufe.
Das Medikament hat nicht geholfen.
Der Anfall dauerte endlose 20 Minuten.
Zum Glück waren der Rettungsdienst und die Notärzte schnell da und konnten weitere Medikamente geben.
Für einen Moment wurde sein Herzschlag und seine Atmung so langsam… ich dachte wirklich, dass wir ihn verlieren. Aber mit Sauerstoff wurde es wieder besser. ❤️🩹
Nachdem der Anfall endlich vorbei war und Nio stabil war, ging es mit Blaulicht nach Speyer. Wegen der Länge des Anfalls wurde das MRT unter Sedierung sofort vorgezogen – um einen möglichen Hirndruck auszuschließen. Zum Glück: kein Befund. 🙏
Heute war einer dieser Tage, die einen einmal komplett durchschütteln.
Aber wir sind hier.
Nio ist stabil.
Und wir kämpfen weiter. ♥️
Gestern Abend bekam Nio plötzlich Fieber. Vielleicht war das sogar der Auslöser für den Krampfanfall – ein Infekt kann so etwas schnell verstärken. Genau weiß man es jedoch nicht, denn solche Anfälle gehören leider auch typisch zu seiner Erkrankung.
Da Nio nun schon den zweiten Tag jegliche Medikamente, Nahrung und selbst Trinken verweigert, wurde uns heute eine Magensonde über die Nase empfohlen. Ich habe innerlich die ganze Zeit gegen die Sonde gekämpft, weil allein der Gedanke daran für mich so schwer auszuhalten war. Aber irgendwann war klar, dass wir keine andere Möglichkeit mehr hatten.
Unter einem Beruhigungsmittel sollte die Sonde zunächst gelegt werden – doch das hat überhaupt nicht funktioniert. Es war für ihn zu unangenehm, und wir mussten abbrechen.
Nach mehreren Gesprächen mit seinen Ärzten haben wir gemeinsam beschlossen, es unter einer kurzen Narkose noch einmal zu versuchen. Und dieses Mal hat es geklappt. Für einen Moment waren wir sehr erschrocken, als er etwas Blut erbrochen hat, aber die Ärzte konnten uns beruhigen: Das kann nach dem Legen einer Sonde durchaus vorkommen.
Ich habe inzwischen bereits die ersten Medikamente über die Sonde geben können – und Nio macht das so toll mit.
Auch wenn uns solche Tage viel Kraft kosten, sind wir unglaublich stolz darauf, wie tapfer unser kleiner Kämpfer ist.❤️
Seit gestern Abend sind wir endlich wieder aus dem Krankenhaus zurück. Die Ärzte in Speyer und auch wir selbst sind uns einig: Krankenhausaufenthalte sollen so kurz wie möglich sein, damit Nio nicht noch mehr belastet wird. Jeder Tag dort bedeutet für ihn Stress – und genau das wollen wir vermeiden.
Zum Glück sind wir zu Hause nicht auf uns allein gestellt. Das Palliativteam unterstützt uns weiterhin und kommt heute noch vorbei. Es tut gut zu wissen, dass wir jederzeit Hilfe bekommen, wenn wir sie brauchen, weil sie 24 Stunden an jedem Tag erreichbar sind.
Die Magensonde funktioniert bisher gut, sodass wir Nio langsam wieder Nahrung über die Sonde geben können. Nach drei Tagen ohne Essen und Trinken ist es wichtig, sehr behutsam vorzugehen. Wir steigern die Mengen Schritt für Schritt und hoffen, dass sein Körper das gut annimmt.
Allerdings merkt man ihm an, wie sehr ihn der Schlauch in der Nase stört. Seit gestern Abend greift er immer wieder danach. Das macht die Nasensonde leider nur zu einer Übergangslösung – denn wenn er einmal schnell zieht, ist die Sonde draußen. Deshalb steht nun erneut die Frage im Raum, ob eine PEG-Sonde gelegt werden soll. Diese würde in einer kurzen OP über den Bauch eingesetzt und wäre langfristig deutlich sicherer.
Jetzt müssen wir überlegen, wie es weitergehen soll. Wir wollen nur das Beste für Nio – und gleichzeitig einen Weg finden, der für ihn so angenehm wie möglich ist.
Langsam spielt sich unser neuer Alltag mit der Magensonde ein. Mittlerweile nutzen wir sie hauptsächlich für Medikamente und Wasser. Sondennahrung brauchen wir kaum noch, denn zum Glück isst er inzwischen wieder richtig gut seinen Brei. Das erleichtert vieles.
Heute war eine Firma bei uns, die uns künftig mit allem Zubehör rund um die Sonde versorgt. Von Spritzen in verschiedenen Größen bis hin zu allem anderen, was wir im Alltag brauchen. Wir haben gemeinsam besprochen, was genau nötig ist, und nun bekommen wir alles regelmäßig und automatisch zugeschickt. Ein Punkt weniger, um den wir uns kümmern müssen.
Auch das Palliativteam war – wie fast jede Woche – wieder da. Ihre Unterstützung tut so gut. Ich kann all die Fragen stellen, die sich im Kopf ansammeln, und sie helfen uns nicht nur medizinisch, sondern auch organisatorisch und manchmal einfach menschlich. An manchen Tagen sind sie Seelsorgerinnen, an anderen Problemlöserinnen.
Als wir noch in der Klinik waren, hat mich abends meine Lieblingspflegerin angerufen. (Natürlich sind alle großartig, aber sie ist etwas Besonderes.) Fast eineinhalb Stunden hat sie sich Zeit genommen und mit mir alle Sorgen, Ängste und Unklarheiten durchgesprochen. In diesem Moment fühlte ich mich gesehen und gehalten – etwas, das man in schwierigen Zeiten nicht hoch genug schätzen kann.
Die Sorgen kommen nicht nur wegen der Sonde. Nios MRT hat sich im Vergleich zu Januar erneut deutlich verschlechtert. Es passt zum allgemeinen Gesundheitszustand, der sich stetig weiter verschlechtert – und doch tut es weh, wenn ein Arzt es ausspricht. Wenn gesagt wird, dass uns wohl nicht mehr allzu viel Zeit bleibt, wenn es so rasant weitergeht. Niemand von uns kann in die Glaskugel schauen, aber solche Worte machen uns wieder bewusst, wie begrenzt unsere gemeinsame Zeit noch ist.
Und dann passiert etwas ganz Stilles, aber sehr Kostbares: Die gemeinsame Zeit wird noch wertvoller. Jede Minute zählt. Jeder Moment trägt Gewicht. Und jedes Lachen — jedes kleine, echte Lachen — macht unendlich glücklich.
Langweilig wird es bei uns wirklich nie. Gestern Abend lag ich mit Nio ganz friedlich im Bett, wir haben gekuschelt, alles war ruhig – und zack, ohne einen einzigen Ton, hatte er sich plötzlich die Sonde herausgezogen. Einfach so. Ein kurzer Moment des Schreckens. Dann alle Möglichkeiten im Kopf durchgegangen und E-Mails an das Palliativteam und die Klinik geschickt.
Passend dazu stand heute ohnehin ein Arzttermin an – diesmal bei einem Kinderarzt, der in der Klinik in Speyer Magensonden über die Bauchwand legt. Eigentlich sollte es nur ein Infogespräch werden. Ein Termin, um sich ein Bild zu machen, Fragen zu stellen, Optionen abzuwägen.
Und genau das haben wir getan. Beide Arten von Magensonden haben ihre Berechtigung – je nach Situation und Ziel. Aber für Nio, mit seinen Bedürfnissen und unserer alltäglichen Realität, scheint die Variante über die Bauchwand eindeutig mehr Vorteile zu bieten. Weniger Risiko, dass sie sich unbemerkt löst, weniger Stress für ihn, weniger Sorgen für uns.
So bekommt er zuverlässig seine Medikamente, Nahrung und Flüssigkeit. An den Blutwerten konnten wir sehen, dass es vor der Sonde nicht mehr so war. Es bedeutet aber nicht, dass er nur noch alles darüber bekommt. Seinen Brei hat er weiterhin gegessen, trotz der Nasensonde.
Manchmal wird man einfach auf den Weg geführt. Auch wenn ich mich lange dagegen gewehrt habe. Jetzt müssen wir nur noch ein paar Tage gut überbrücken.
Gestern ging ein ganz besonderes Päckchen auf Reisen, das mehr Bedeutung in sich trägt, als Worte fassen können. Darin lagen Nios Haare, die ich das ganze Jahr über nach jedem Haarschnitt gesammelt habe. Jede einzelne Strähne ein Stück von ihm.
Ein unscheinbarer kleiner Karton für jemanden, der es von außen betrachtet. Doch für mich steckt darin ein ganzes Universum aus Liebe.
Seit Nios Diagnose im Januar bin ich immer wieder auf Mevisto gestoßen – ein österreichisches Familienunternehmen, das aus den Haaren geliebter Menschen Edelsteine fertigt. Handgemacht, persönlich, einzigartig. Eine Art, Liebe festzuhalten, wenn das Leben selbst sie aus der Hand gleiten lässt. Ein winziges Stück Magie, gebunden in einem leuchtenden Stein.
Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, hat es mich tief berührt. Die Vorstellung, etwas von Nio für immer bei mir tragen zu können – nicht nur in Gedanken, sondern wirklich, spürbar, nah – gab mir Trost.
Nio sagte früher immer zu mir: „Wir lieben Herzen.“ Er malte Herzen, formte sie mit seinen Händen, baute sie aus Lego.
Deshalb war klar, es muss ein Herz-Anhänger sein, mit einem blauen Edelstein – Nios Lieblingsfarbe.
Ein Herz, das sein Herz in sich trägt.
Ein Blau, das ihn widerspiegelt.
Ein Saphir, der ihn weiterleuchten lässt.
Nun ist der erste Schritt getan. Seine Haare sind unterwegs zu Mevisto, und in ein paar Wochen halte ich ein kleines, funkelndes Stück Ewigkeit in den Händen. Ein Edelstein, welcher ihn auf eine neue, liebevolle Weise bei mir bleiben lässt.
Ein Erinnerungsedelstein.
Ein Symbol für all die Liebe, die bleibt.
Heute wären wir eigentlich nach Leipzig gefahren. Ein paar Tage Auszeit waren geplant, verbunden mit einem Termin in der Uniklinik. Ich hatte bereits davon berichtet – wir hatten uns vorbereitet, gehofft, organisiert.
Doch in Absprache mit den Ärzten haben wir uns dagegen entschieden. Für Nio wäre die Belastung einfach zu groß gewesen. Schon die Fahrt von über 500 Kilometern, die neue Umgebung und der ganze organisatorische Aufwand wären mehr Stress gewesen, als wir ihm zumuten können und wollen.
Und anders als früher hoffen wir diesmal nicht darauf, den Termin irgendwann nachholen zu können. Wir wissen, dass sich Nios Zustand nicht mehr verbessern wird. Das anzunehmen tut weh, aber es schafft auch eine gewisse Klarheit: Wir richten unseren Alltag weiterhin an dem aus, was für ihn gut ist – nicht an dem, was theoretisch möglich wäre.
Das bedeutet für uns auch, dass Nio nicht mehr an dem Programm teilnehmen kann, über das er das spanische Medikament Leriglitazon erhalten hat.
Und auch wenn sich Wege ändern, gehen wir unseren Weg weiter – gemeinsam und in dem Tempo, das für Nio richtig ist.
Manchmal geschehen Veränderungen ganz still und leise – ohne großes Ankündigen, ohne dass man darauf vorbereitet ist. Wochenlang hat Nio kaum ein Wort gesagt. Und dann nur sehr undeutlich. Die Tage vergingen, und wir haben es als Teil der Krankheit akzeptiert.
Und dann, ganz plötzlich, passiert es. Seit gestern Abend kommen Worte – klar, deutlich, ohne Zögern. Worte, die wir schon fast vergessen hatten, Worte, die wir uns so sehr gewünscht hatten. Als hätten sie all die Zeit nur darauf gewartet, im richtigen Moment wieder an die Oberfläche zu kommen. Vielleicht auch nur vorübergehend.
Niemand hat damit gerechnet. Vielleicht macht es gerade das so besonders.
Es erinnert einen daran, wie wertvoll die Dinge sind, die für andere selbstverständlich wirken. Und wie viele kleine Wunder jeden Tag passieren – wenn man nur genau hinsieht.
